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Im Bann der Felsen

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Durch die 700 Meter tiefe Verdonschlucht führt ein zeitlos schöner Trekking-Klassiker. Ein Artikel von Torsten Schöll.

Lesedauer: 4 Minuten


Als die Wanderer nach vier Stunden auf dem Blanc-Martel-Pfad an einem Felsvorsprung den Blick heben, zögernd, fast tastend entlang der lotrechten Felswände und hinauf in den tiefblauen Himmel, kreisen über den vor Anstrengung hochroten Köpfen drei riesige Greifvögel. In der flirrenden Hitze gleiten sie lautlos über die Verdonschlucht. Zweieinhalb Meter Spannweite machen Flügelschläge überflüssig. Die Gänsegeier, die hier in den 90er Jahren wieder angesiedelt wurden, schweben im Aufwind hart an der Schluchtkante entlang. Sind kreisende Aasfresser ein schlechtes Omen? Eine Frage, die auch kühlen Naturen bei 30 Grad im Schatten und einer kräftezehrenden Wegstrecke durch den Kopf spuken kann.

Es ist der Trekking-Klassiker der Haute Provence, durch deren gewaltiges Hochplateau sich die Verdonschlucht wie ein Haarriss zieht. Einer freilich, der sich bis zu 700 Meter tief ins Kalkgestein gefressen hat. Die Gorges du Verdon gehört zu den gewaltigsten Schluchten Europas. Im Ranking der tiefsten rund um den Globus rangiert sie auf Platz neun. Wobei solche Superlative bei Extremschluchten umstritten sind, weil nicht bei allen klar zu definieren ist, von welchem höchsten Punkt die Tiefenmessung einer Schlucht eigentlich auszugehen hat. Noch beeindruckender als ihre Tiefe ist im Falle der Verdonschlucht aber ohnehin, dass sie an ihrer engsten Stelle nur noch gute sechs Meter Breite misst.

Bis 1905 galt die Schlucht als uneinnehmbar

Der Wanderweg Sentier Blanc-Martel ist mit etwa 14 Kilometer Länge gar nicht besonders lang. Aber er hat es in sich. Die Tour startet am Chalet de la Maline. Die Wanderhütte liegt direkt an der viel befahrenen Route des Crêtes, eine Touristenstraße, die sich mitunter schwindelerregend nah an der nördlichen Schluchtkante entlang schlängelt und vor allem im Sommer gnadenlos überfüllt ist. Allen voran verstopfen Wohnmobile dann die enge Bergstraße. Schon deshalb heißt es zeitig aufstehen.

 

Von der Hütte geht es zunächst in engen Serpentinen knapp 300 Höhenmeter steil bergab bis fast hinunter zur Talsohle. Dort fließt der Verdon, von Stauseen gebändigt, gemächlich dem Lac de Sainte-Croix entgegen. Entlang des Flusses wandert man bis zum Point Sublime, dem ersten Ausweg aus der Schlucht. Buchsbaum, Eichen und Buchen säumen hier unten das Flussufer auch dann noch saftig grün, wenn der Rest der Provence unter der Sommersonne zu Staub zu zerfallen scheint. Die schattigen Strecken unterm Blätterdach werden aber immer wieder durch Geröllhalden und Felspassagen unterbrochen.

Erster Höhepunkt der Wanderung ist die Brèche Imbert. In dieser steilen Scharte schneidet der Wanderweg eine große Felsnase ab. Mithilfe von installierten Fixseilen geht es scharf bergan bis zu einer Aussichtsplattform. Nicht nur das Felsenpanorama sorgt dort oben für Schnappatmung. Die Konstrukteure des Sentier Blanc-Martel wussten sich an dieser Stelle nicht anders zu helfen, als den Weg auf der anderen Seite der Scharte durch einen Felskamin wieder hinunterzuführen. In diesen Felsriss hinein verankerten Bergsteiger eine extrem steile Eisentreppenkonstruktion mit 252 Stufen. 

Hat man diesen schwierigsten Teil der Wanderung hinter sich, ist der Point of no Return erreicht. Das Ziel liegt jetzt näher als der Ausgangspunkt der Wanderung. Und, wie bestellt, erreicht man kurz darauf zum ersten Mal, am Défilé des Baumes Frères, das Ufer des glasklaren, aber bitterkalten Verdon. Ein Kiesstrand im Schatten einer Felswand ist wie gemacht für die Mittagsjause.




Zeit, etwas über die Geschichte hinter dem Sentier Blanc-Martel zu erfahren. Denn die Eroberung der Verdonschlucht liegt nicht viel weiter zurück in der Geschichte als die Entdeckung des Nordpols und galt als ähnlich schwierig. Denn erst 1905 gelang es dem französischen Hydrologen und Höhlenforscher Eduard-Alfred Martel zusammen mit Isidor Blanc, einem Bergführer aus dem nahen Rougon, die Verdonschlucht in Gänze zu durchsteigen. Die Schlucht galt bis dahin als uneinnehmbar. Drei Tage waren die Abenteurer damals unterwegs.

So lange würde man heute nicht mehr brauchen. Doch gerade die schattenarme Wegstrecke hinter dem Défilé des Baumes Frères fordert vom Wanderer noch mal alles. Der Pfad führt von nun an stetig auf und ab und die senkrechten, über 600 Meter hohen grauroten Felswände rechts und links des Verdon rücken immer näher zusammen. Mal geht es über Geröll, mal über glatten Felsboden. Die Tritte werden mit zunehmender Müdigkeit unsicherer, das Trinkwasser geht zur Neige. Und hoch oben kreisen die Geier.

Der Couloir Samson liegt vor den erschöpften Wanderern. Es ist eine der engsten und vielleicht die beeindruckendste Felsformation der gesamten Verdonschlucht. Hier verengt sich die Schlucht an der Talsohle bis auf wenige Meter zu einer Klamm. Hüben wie drüben fließt der Verdon scharf am Fels entlang – ein Hotspot für Canyoning-Fans. Und wenn der Fluss im Sommer an Dienstagen und Freitagen künstlich geflutet wird, bietet er hier auch den Rafting-Freunden Idealbedingungen. Durch diese Engstelle gelangt der Wanderer nur deshalb trockenen Fußes, weil vor dem Zweiten Weltkrieg oberhalb des Flusses lange Tunnel durch den Fels getrieben wurden. Die sollten eigentlich irgendwann Wasser führen, was aber nie geschah. Doch dank zweier dieser Röhren, eine 250, die andere 700 Meter lang und mannshoch, können heute Wanderer auf dem Blanc-Martel ihr Ziel am Point Sublime erreichen, ohne zu schwimmen. Womit auch erklärt wäre, warum eine Taschenlampe im Rucksack eine gute Idee ist. Die beiden Röhren sind unbeleuchtet und – endlich – wunderbar kühl.


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Wer schreibt denn hier?

Salut. Normalerweise stellen sich an dieser Stelle die Vermieter des Ferienhauses Butterhäuschen als die Autoren der Webseiten-Texte vor. In diesem speziellen Artikel über die Gorges du Verdon handelt es sich allerdings um einen Reisebericht eines unserer Ferienhaus Gäste. Torsten Schöll ist der Autor dieses Artikel. Er war so freundlich, ihn uns zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen. Der Artikel datiert aus dem Jahr 2017 und wurde für die Reiseseiten der "Stuttgarter Zeitung" auf Grundlage einer Wanderung geschrieben. Der Beitrag wurde dann im Mai 2018 veröffentlicht. 



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